Die dunkelste Nacht ist vorbei

Meine Mutter litt unter sehr starken Depressionen. Sie und ihr Mann hatten ihre Arbeit als Hotelmanager verloren. Ich sprach mit ihr einige Tage vor der Entlassung und es schien ihr gut zu gehen. Doch einige Zeit danach schien sie immer ernster zu werden und schließlich antwortete sie nicht mehr auf meine Anrufe, so als ob sie immer gerade schlief. Beim letzten Gespräch mit ihr sagte sie, dass sie mir ihren "letzten Willen und ihr Testament" geschickt habe, doch ich solle mir keine Sorgen machen; sie erledige gerade bestimmte Arbeiten. Ich fragte sie frei heraus, ob sie an Selbstmord dächte, doch sie versicherte mir, dass dies nicht der Fall sei.

Ich schickte Sri Chinmoy eine Nachricht, dass ich mich ernstlich um sie sorge. Als ich dann ihren letzten Willen per Post erhielt, wurde ich verzweifelt und versuchte immer wieder sie anzurufen, aber sie nahm den Hörer nicht mehr ab.

Ihr Ehemann rief mich eines Abends gegen 23 Uhr an und benachrichtigte mich, dass meine Mutter nicht da sei; er meine, er müsse die Küstenstreife anrufen. (Sie kampierten in ihrer einzigen Unterkunft, einem Campingwagen, an einer kalifornischen Strandpromenade.) Um ein Uhr mittags rief er zurück und sagte, dass die Polizeistreife meine Mutter gefunden habe, "ohne Reaktion in der Brandung, aber lebend"; sie brachten sie gerade in der Notaufnahme unter. Als ich die Botschaft an Sri Chinmoy weitergab, schlug er vor: "Kann Parvati nicht hingehen?" Ich selbst dachte nicht so klar und schnell, aber plötzlich flogen alle Türen auf. Ashrita besorgte mir ein Ticket für einen Flug, der eine Stunde später ging und bei welchem ich den einzigen leeren Sitz zu bekommen schien. Als ich dann am Flughafen in Kalifornien ankam, erhielt ich das letzte Mietauto, nachdem mir sechs andere Mietwagenfirmen sagten, dass sie überhaupt keine Autos mehr hatten.

Da gibt es viele, viele wundersame Geschichten, die mit dieser Geschichte verbunden sind, aber ich willmich kurz halten. In der zweiten Nacht, die ich dort verbrachte, erhielt ich einen Anruf mit einer Botschaft von Sri Chinmoy. Es handelte sich um eine Übung, die ich für meine Mutter im Krankenhaus während meines Besuchs ausführen sollte. "Stelle dir vor, dass du zur gleichen Zeit wie deine Mutter ein- und ausatmest. Wenn sie einatmet, fühle, dass der Supreme in ihr Herz eingetreten ist. Fühle dann, dass ein wunderschönes weißes Licht sie umgibt. Wenn sie ausatmet, fühle, dass dein eigenes Herz weiter und weiter wird und dass du die negativen Kräfte, die in sie eingetreten sind, wegnimmst. Mache dir keine Sorge. Ich werde mich um dein Leben kümmern. Ich werde es sein, der eigentlich die negativen Kräfte wegnimmt. Es wird sich nicht ungünstig auf dich auswirken."

Ich machte diese Übung, wann immer meine Mutter schlief oder wenn sie sich mit meinem Bruder (ja, derselbe, den Sri Chinmoy zwei Jahre zuvor gerettet hatte) unterhielt. Ich konnte wirklich das Licht sehen, das sie umgibt. Wenn ich dieses Licht unter irgendwelchen anderen Umständen gesehen hätte, hätte ich gedacht, dass diese Person eine Heilige sei, es war so deutlich.

Die Tage vergingen und meine Mutter nahm mehr Anteil am Leben, aber sie aß noch nicht, was die Ärzte und Krankenschwestern beunruhigte, noch gab sie irgendein Zeichen, dass sie am Leben interessiert sei. Sie war jetzt bereits vier Tage lang auf der Intensivstation und es war erforderlich, sie in eine andere Abteilung zu bringen, am besten in eine psychiatrische Klinik. Aber jedes Mal, wenn sie weggebracht werden sollte, ereignete sich aus den unterschiedlichsten Gründen etwas, das die Überweisung vereitelte.

Am vierten Tag wollten mein Bruder und ich unsere Mutter besuchen, aber die Krankenpflegerin sagte uns, dass sie keine Besucher wollte. In panischer Angst rief ich in New York an, damit man Sri Chinmoy diese Nachricht übermittelte. Nach einigen Stunden ließ sie uns in ihr Zimmer. In ihrem Zimmer war ein geschäftiges Treiben. Anscheinend hatte eine der Ärztinnen den Arzt eines anderen Krankenhauses aus "reiner Gefälligkeit" angerufen. Der Arzt dort hatte gerade noch ein Bett zur Verfügung und wenn wir uns beeilen würden, könnte man meine Mutter dort hinbringen. In dem Maße, wie unsere Begeisterung wuchs, begann meine Mutter plötzlich auch Begeisterung zu zeigen und nahm sogar einige Bissen Nahrung zu sich, um ihre Bereitschaft zu signalisieren. Bei dem Telefongespräch mit dem Arzt des neuen Krankenhauses, hörte ich sie sagen: "Ja, ich bin bereit das Erforderliche zu tun", offensichtlich als Antwort auf die Frage des Arztes, ob sie für eine Behandlung bereit war. Die Pflegerinnen arbeiteten eifrig und versuchten meiner Mutter den Platz im neuen Krankenhaus zu sichern. Doch beobachtete ich mit Schrecken, dass es nicht gelang, meiner Mutter genügend Blut den für den erforderlichen Test abzunehmen und dann, wie sich die Berichte, die sie ins neue Krankenhaus faxten, im Faxgerät verklemmten. Unnötig zu erwähnen, dass die Überweisung an diesem Abend nicht stattfand.

Als wir am nächsten Morgen erschienen, war es meiner Mutter glücklicherweise gelungen, ihren Enthusiasmus aufrecht zu erhalten. An diesem Nachmittag wurde sie in ein anderes Krankenhaus überwiesen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Einrichtung, für die alle so schwer gearbeitet hatten, fast zwei Stunden vom Haus meines Bruders entfernt gewesen; dieses Krankenhaus aber war nur vierzig Minuten entfernt.

Ich war nie zuvor in einer psychiatrischen Klinik gewesen. Doch obwohl ich ruhig und lässig sein wollte, wenn ich nach der Besuchszeit wegging, begann ich stattdessen unkontrolliert zu weinen. Aber das Wunder der Transformation hatte in meiner Mutter schon stattgefunden und sie handhabte es erstaunlich gut – sie blühte regelrecht auf.

Am nächsten Tag war Sri Chinmoys Botschaft, dass "die dunkelste Nacht vorbei war".  Als ich an jenem Abend meiner Mutter diese Botschaft überbrachte, bäumte sich ihr Körper auf, als ob sie ein Blitz getroffen hätte. Sie hielt die Tränen in ihren Augen zurück und sagte: "Wow! Das ist so kraftvoll!" Dann erzählte ich ihr von der Übung, die mir Sri Chinmoy gegeben hatte, während sie auf der Intensivstation gelegen hatte. Am nächsten Abend erzählte sie uns folgende Geschichte: Sie war in einer Gruppensitzung und die Patienten sprachen über ihre Ängste. Sie erklärte, dass Angst hat, dass ein unvermeidlicher Zusammenbruch an der nächsten Ecke lauerte, da sie sich so fantastisch gut fühlte. Der die Sitzung führende Therapeut antwortete: "Weißt du, es erscheint komisch, aber ich habe dich beobachtet und es scheint, dass du dieses Licht um dich herum hast." Meine Mutter war verlegen und sagte: "Ach, ich muss im Sonnenlicht gesessen haben." Der Arzt sagte: "Nein, das ist es nicht; es ist etwas anderes. Ich glaube, du wirst gesund werden." Und so war es auch.

Parvati (New York)

Cross-posted from de.srichinmoycentre.org